Offener Brief an die Landräte und Landrätinnen, Oberbürgermeister:innen und Bürgermeister:innen in NRW

01.02.2021

Sehr geehrte Landräte und Landrätinnen,
sehr geehrte Oberbürgermeister:innen,
sehr geehrte Bürgermeister:innen, 

wir brauchen Ihre Hilfe, wenn wir nicht eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen verlieren wollen. 
Setzen Sie sich – zusammen mit uns – für die Rechte der Kinder und Jugendlichen in NRW ein, insbesondere für das Recht auf Bildung und das Recht auf Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben. 
Die Kinder und Jugendlichen befinden sich mittlerweile seit fast einem Jahr in einer absoluten Ausnahmesituation, die nachweislich schädigend für ihre geistige, seelische und körperliche Entwicklung ist. Ihnen ist jeglicher verlässliche und strukturierte Alltag genommen worden. Selbst ihrem „Beruf“ (Kita/Schule) können sie – ganz im Gegensatz zu vielen Erwachsenen – nicht mehr oder zumindest nur sehr eingeschränkt nachgehen. Sämtliche Möglichkeiten zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Aktivierung, Bewegung und sozialen Kontakten, nach Austausch, Optionen zur Kompensation, der auf Grund der sonstigen Einschränkungen bereits entstandenen Belastungen, wurden spätestens Ende 2020 gestrichen. 

Für den sozialen Austausch bleibt meist lediglich die Kernfamilie als letzter Rückhalt.
Dies mag in „heilen“ Familien womöglich sogar noch für eine gewisse Zeit über fehlende soziale Kontakte, fehlende Freiräume, hinweghelfen. Auch dort ist der Leidensdruck inzwischen allerdings enorm. Auch in diesen Familien sind die massiven Folgen leider spürbar, denn auch noch so engagierte Eltern ersetzen nicht das gewohnte Umfeld, das Kinder und Jugendliche zur sozialen Interaktion und für eine altersangemessene gesunde Entwicklung benötigen. 
Was passiert erst in Familien, die ohnehin schon sozial benachteiligt sind? Wie sieht es jetzt in Familien mit schon zuvor eher dysfunktionalen Strukturen aus? Wie sollen Kinder hier weiterhin durch den Staat Hilfe und Unterstützung erfahren? Der Besuchsdienst der Jugendämter wird nach unserer Information in vielen Städten aktuell nur sehr eingeschränkt wahrgenommen. 
Grundsätzlich steht Kindern zwar die Notbetreuung offen, doch dies unterliegt der Entscheidung der Eltern, an die von allen Seiten mit viel Nachdruck appelliert wird, die Kinder zu Hause zu lassen. Der Umgang mit dem Appell variiert bekanntermaßen sehr – sowohl auf Seiten der Familien, die sich oftmals scheuen, Überforderungen zu benennen, als auch von Seiten der Einrichtungen, die ganz unterschiedlich für Betreuung und Begleitung, für Teilhabe, werben oder eben nicht. 
In den Kinder- und Jugendpsychiatrien ist seit dem 2ten Lockdown die „Hölle los“, anderthalb bis doppelt so viele Notaufnahmen wie sonst sind dort zu stemmen. (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-kinder-psychische-folgen-betreuung- shutdown-100.html). Geplante Behandlungen müssen deshalb abgesagt oder verschoben werden. Bestehende Störungen manifestieren sich weiter, Chronifizierung droht. Depressive Störungen, Essstörungen oder pathologisches Medienverhalten nehmen in der Corona-Pandemie laut dem Direktor der Westfälischen Kinderklinik in Dortmund schichtunabhängig zu. Es entstünde manigfaltiger Behandlungsbedarf auf Grund der vermehrten Isolation, des Rückzugs, einer Verschiebung des Tag- und Nachtrhythmus, durch nächtelanges Computer spielen bis zur völligen Erschöpfung, Mangelernährung bis zur vollständigen Verwahrlosung.

Ebenfalls untermauert werden all diese Erkenntnisse durch den Chef des Verbandes der Betriebskrankenkassen (BKK), Frank Knieps, der daher deutlich vor der Gefahr länger geschlossener Schulen warnt und eine schnelle Öffnung fordert. „Der Staat kann doch nicht hinnehmen, dass es vom Geldbeutel oder dem Improvisationstalent der Eltern abhängt, ob die Kinder Zugang zu Bildung bekommen“. Er habe den Eindruck, die politischen Entscheidungsträger könnten sich die Situation für Kinder in bildungsfernen Haushalten gar nicht vorstellen: Dass es dort Kinder ohne Computer gibt, ohne Unterstützung beim Lernen, ohne warmes Mittagessen, aber vielleicht sogar mit häuslicher Gewalt (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kultusminister-zu-corona-wir- nehmen-den-kindern-gerade-alles-weg-17151508.html). 
Aber nicht nur Vertreter der Ärzteschaft , sondern auch Epidemologen, Psychologen, Pädagogen und Juristen zeigen immer öfter die Unwucht der aktuellen Maßnahmen auf. Selbst die Justiz, die der Exekutive bislang fast alles hat durchgehen lassen, äußert nunmehr ganz erhebliche Zweifel an der Verfassunsmäßheit der Aussetzung der Präsenzpflicht und sagt sehr deutlich, dass ab dem 14.02.2021 mildere Mittel zu ergreifen sind, um den massiven Grundrechtseingriffen von Kindern und Eltern Einhalt zu gebieten.

Für uns ergeben sich Fragen: Wieso setzt der Infektionsschutz nicht dort an, wo er gebraucht wird? In den Altenheimen? Dort, wo es nach wie vor keine verpflichtenden Tests für Besucher und Personal gibt? Der November-Lockdown hat eindeutig gezeigt, wo der Schutz der Menschen ansetzen muss. Während sich in dieser Zeit bei allen Altersgruppen unter 85 die Infektionszahlen stabilisierten, stiegen sie bei den über 85jährigen massiv an. Den traurigen Höhepunkt markierte ein Inzidenzwert von über 700 bei den über 90jährigen zum Ende des vergangenen Jahres (https://www.freitag.de/autoren/jaugstein/leben-lernen).

Für uns ergeben sich Fragen: Wieso setzt der Infektionsschutz nicht dort an, wo er gebraucht wird? In den Altenheimen? Dort, wo es nach wie vor keine verpflichtenden Tests für Besucher und Personal gibt? Der November-Lockdown hat eindeutig gezeigt, wo der Schutz der Menschen ansetzen muss. Während sich in dieser Zeit bei allen Altersgruppen unter 85 die Infektionszahlen stabilisierten, stiegen sie bei den über 85jährigen massiv an. Den traurigen Höhepunkt markierte ein Inzidenzwert von über 700 bei den über 90jährigen zum Ende des vergangenen Jahres (https://www.freitag.de/autoren/jaugstein/leben-lernen).

Wir haben keine Zeit mehr! Eile ist geboten! Jeder Tag ohne soziale Kontakte mit anderen Kindern, ohne Bildung und Teilhabe, ist für die Kinder ein verlorener Tag. Jeder weitere Tag entzieht tausenden Kindern Lebenschancen, fördert die Entstehung und Manifestation zahlreicher physischer und psychischer Krankheiten. Jeder weitere Tag bedeutet für viele Kinder weitere unentdeckte Gewalt, weitere Qualen und es gibt niemanden, der sie davor bewahrt. 

Kinder sind das Wertvollste, was unsere Gesellschaft hat! Sie sind unsere Zukunft! 

Verehrte Landräte und Landrätinnen, Oberbürgermeister:innen und Bürgermeister:innen, wir bitten Sie eindringlich: Setzen Sie sich bei den Entscheidungsträger:innenin der Regierung für Kinder und Jugendliche ein!
Nutzen Sie Ihre Stimme für unsere Kinder und Jugendlichen!
Werden Sie laut für die Öffnung von Kitas und Schulen, für Betreuung und Bildung in Präsenz! Fordern Sie Möglichkeiten der Freizeit- und/oder Vereinsaktivitäten!
Schauen Sie nicht länger tatenlos zu! Nutzen Sie all Ihre Möglichkeiten! 

Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen