Lost Generation – Warum vergisst die Politik unsere Jugend?

11.02.2021

Die Initiative Laut für Familien fragt sich: „Wo bleibt der Aufschrei der Eltern und Schüler:innen? Wo bleibt der Aufschrei der Gesellschaft?“
Die Politik hat die Jugend vergessen und Schulöffnungen, abgesehen von Abschlussjahrgängen, Förderschüler:innen und Grundschüler:innen, bis auf Weiteres vertagt. „Die Schüler:innen der Unterstufe und Mittelstufe können ab dem 1. März zum Friseur gehen, aber nicht mit ihren Mitschüler:innen im Klassenraum lernen“, so Nele Flüchter, Gründungsmitglied der Initiative Laut für Familien, fassungslos.

Wird Bildung in der Grundschule zum Glücksspiel?

Natürlich ist ein Start des Präsenzunterrichts an Schulen zu begrüßen, wofür sich die FDP lobenswerter Weise sehr eingesetzt hat. Wechselunterricht ist besser als reiner Distanzunterricht. „Das Wechselmodell ist aber nicht praxistauglich“, erklärt Nele Flüchter. „Finden der Präsenz- bzw. Distanzunterricht für Kinder einer Familie an verschiedenen Wochentagen statt, erleichtert das nicht die Betreuungssituation. In der Notbetreuung gibt es dann eine neue Durchmischung der Gruppen. Kohorten werden nicht eingehalten. Jede Schule darf zudem entscheiden, wie viele Tage sie in Präsenz anbietet. So wird Bildung zum Glücksspiel.“ Dabei hat eine Umfrage der Landeselternschaft der Grundschulen ergeben, dass sich mehr als 80% der Eltern von Grundschulkindern eine schnelle Rückkehr zum Präsenzunterricht wünschen.1

Die Jugend: Der blinde Fleck auf der politischen Karte

Während sich auf der einen Seite etwas bewegt, bleiben die Schüler der Sekundarstufe I und II, bis auf die Abschlussjahrgänge, in der permanenten Warteschleife gefangen. Dabei sind es unsere Jugendlichen, die am meisten Schaden nehmen werden – gesundheitlich, sozial, aber auch wirtschaftlich. Sie werden erhebliche wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen. Sie werden die Renten für die Älteren zahlen müssen und mit den vielfältigen individuellen Folgen des „Lockdown“ schlimmstenfalls lebenslang zu kämpfen haben.

Daher ist es besonders in der Jugend so wichtig, diese Entwicklungschancen wahrnehmen zu können. Und trotz alledem schiebt die Politik unsere Jugend ohne erkennbare Perspektive auf die Ersatzbank. Nicht zuletzt durch die fehlenden Präsenzunterricht und fehlende Freizeit- und Sportmöglichkeiten gibt es in vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien mittlerweile die Situation einer Triage, bei der nur die am schwersten erkrankten Kinder und Jugendlichen einen Platz erhalten und lange Wartelisten bestehen.2

Die KiTa als sozialen Lebens- und Schutzraum erhalten

In Sachen frühkindliche Bildung und Betreuung von KiTa-Kindern gibt es derzeit keine Änderungen. Die Eltern sollen sich nach Wunsch der Landesregierung weiterhin dem Appell beugen, ihre Kinder nicht zur Betreuung zu bringen. Svenja Streich, Gründungsmitglied der Initiative Laut für Familien und Vorsitzende des Jugendamtselternbeirat in Gelsenkirchen, erklärt: „Die Situation ist auf Dauer Gift für die Beziehung von Eltern und Erzieher:innen und sorgt für Streit und Misstrauen. Zudem bedeutet der Besuch einer Kindertagesstätte für viele Kinder liebevolle Unterstützung, adäquate Förderung, regelmäßige gesunde Ernährung und eine sichere, gewaltfreie Umgebung.“

Die Initiative begrüßt, dass Lehrer:innen und Erzieher:innen beim Impfangebot nun in die Impfgruppe 2 eingruppiert werden können. „Ob Präsenzunterricht stattfinden darf, sollte jedoch nicht davon abhängen, ob jede Lehrkraft ein Impfangebot erhalten hat. Der psychosoziale, gesundheitliche Schaden sowie der Verlust an Bildung wären zu groß“, betont Nina Meseke von der Initiative.

Größtmögliche Schonung? Entscheidungen fern von Verhältnismäßigkeit

All dies stützt auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 29. Januar 2021 zur Klage auf Präsenzunterricht der Initiative.3 Dort heißt es, dass die Landesregierung die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Untersagung von Präsenzunterricht fortlaufend überprüfen müsse. Dies unterlässt die Landesregierung schlichtweg. NRW hat eine landesweite Wocheninzidenz von derzeit 62,7 und die Landesregierung erwägt ein Wechselmodell in nunmehr 11 Tagen für Grundschulen, obwohl bereits anerkannt ist, dass Schulen keine Treiber der Infektionsgeschehens sind. Das Gericht hat deutlich darauf hingewiesen, dass zukünftige Abwägungsentscheidungen „erkennbar und plausibel vom Prinzip der größtmöglichen Schonung der Grundrechte der von den Freiheits- und Teilhabeeinschränkungen Betroffenen geleitet sein und einer besonderen Rechtfertigung bedürfe“. Diese Mahnung des Gerichtshofs ignoriert die Landesregierung überwiegend. „Sollte die Politik nicht diese Woche noch eine Kehrtwende machen, werden wir abermals zum Verfassungsgerichtshof gehen“, so Dr. Nicole Reese von der Initiative.

Die Initiative Laut für Familien fordert eine sofortige Rückkehr zum vollen Präsenzunterricht für Grundschüler:innen, Förderschüler:innen und an weiterführenden Schulen bis Klasse 7 sowie mindestens Wechselunterricht an weiterführenden Schulen ab Klasse 8. Für KiTas fordert die Initiative äquivalent, mindestens den eingeschränkten Regelbetrieb. Längst gibt es gute Konzepte, wie man KiTas und Schulen verantwortungsvoll, auch im Hinblick auf die Virusmutationen, öffnen kann.

Wichtig ist darüber hinaus, dass Infektionsschutz in Grundschulen kindgerecht umgesetzt wird.

Insofern ist eine MNB-Pflicht für Grundschulkinder aus Sicht der Initiative nicht zielführend. Die meisten Grundschulkinder sind nicht in der Lage, die Masken adäquat zu handhaben, zudem wird der Spracherwerb massiv behindert, vor allem bei hörgeschädigten Kindern und Kindern mit einer anderen Muttersprache. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) lehnt das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung für Grundschulkinder im Unterricht ebenfalls ab.4

Das Testangebot für Lehrpersonal und Erzieher:innen sollte stattdessen massiv ausgeweitet werden; Selbsttests für Erwachsene stehen zeitnah für Verdachtsfälle zur Verfügung. Als weitere Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen mit SARS-CoV-2 kommt auch der Einsatz von Raumluftfiltern in Betracht. Ferner wäre es sinnvoll, die Zahl der Ergänzungslehrkräfte weiter aufzustocken, mehr Räume anzumieten und Anfangs- und Endzeiten zu entzerren.