Düsseldorf und Bielefeld, den 19.01.2021
Als ich heute die Beschlussvorlage des Bund-Länder-Treffens gelesen habe, dachte ich, dies sei ein böser Traum!“ sagt Dr. Nicole Reese von der Initiative Familien in der Krise.
Die Kanzlerin schlägt vor, Kitas und Grundschulen – letztere übrigens nur im Wechselunterricht – erst ab einer Inzidenz von 50 wieder zu öffnen. Für alle älteren Schülerinnen werden gar keine Perspektiven aufgezeigt. Noch im November haben Bund und Länder beteuert, dass der Präsenzunterricht an Schulen höchste Priorität habe und dass das Recht auf Bildung am besten durch Lernen und Lehren in Präsenz gewährleistet werden könne. „Eine weitere Verschärfung der Maßnahmen für Kinder und Jugendliche ist für uns weder nachvollziehbar noch hinnehmbar“, sagt Nele Flüchter von Familien in der Krise. Das Versprechen, Schulen und Kitas als letztes zu schließen, wurde schon zum Schulstart nach den Weihnachtsferien gebrochen. Nun sollen die Schulen für weitere zwei Wochen geschlossen bleiben und für die größeren Schülerinnen ohne Perspektive.
Auch für Kitas würde eine Umsetzung der Beschlüsse in NRW eine deutliche Verschlechterung bedeuten. „Wir sind sehr froh über den Kurs von Familienminister Dr. Joachim Stamp. Auch die reduzierte Betreuungszeit stellt für viele Familien bereits ein Problem dar, eine komplette Kitaschließung wäre jedoch katastrophal und würde uns in den März 2020 zurückkatapultieren. Es ist inakzeptabel, dass die frühkindliche Bildung so wenig Wertschätzung erfährt!“ so Sabine von Thenen, Gründungsmitglied der Initiative.
„Die Kinder werden damit letztlich in „Geiselhaft“ genommen und müssen darauf hoffen, dass die Erwachsenen die Inzidenz drücken und das ist bei den geplanten Maßnahmen mehr als unwahr-scheinlich“, äußert sich Dr. Franziska Reiss von der Initiative kritisch. Diese ständigen Verschärfungen im Bereich Schule und Kita sind unhaltbar, denn es hat sich längst gezeigt, dass Kinder seltener infektiös sind als Erwachsene und dass Schulen und Kitas zwar Abbild des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung sind, aber gerade keinen treibenden Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten. Auch die Zahlen des Robert-Koch-Instituts bestätigen dies, denn selbst in der Zeit, in der die Schulen und KiTas während der Pandemie geöffnet waren, gab es 74% mehr Ausbrüche am Arbeitsplatz als in Bildungseinrichtungen. Kinder erkranken äußerst selten schwer.
Alle Einschränkungen werden ihnen fremdnützig auferlegt, um andere zu schützen. Dies bedarf einer wissenschaftlich konkret belegbaren Rechtfertigung. Ganz in diesem Sinne fordert Familien in der Krise, dass sich in einer Ausnahmesituation wie der Corona-Pandemie die Erwachsenenwelt schützend vor die Kinder stellen muss. Die Politik muss die von Herrn Dr. Stamp zugesicherte Betreuungsgarantieweiterhin aufrechterhalten und den Schulbetrieb – nach dem vor Weihnachten entwickelten Stufenplan des Schulministeriums – wieder aufnehmen.
Denn auf der anderen Seite ist hinlänglich bekannt, dass die negativen Folgen von Schließungen der Bildungseinrichtungen extreme Folgen haben; hier seien nur in aller Kürze die wichtigsten Begriffe „Bildungsverlust, Chancenungerechtigkeit, Zunahme von psychischen Störungen, Zunahme von Ge-walt in Familien“ genannt. Kinder- und Jugendärztinnen warnen ebenso wie Psychologinnen vor den massiven Folgen. Unlängst hat auch Herr Schleicher die Öffnung – zumindest der Grundschulen – gefordert, denn es drohen langfristig schwerwiegende Folgen vor allem in den ersten Schuljahren und vor allem für Kinder aus sozial benachteiligtem Umfeld.
Im Kontext der MPK hieß es häufig, dass auch Kinder und Familien ihren Beitrag zur Pandemiebe-kämpfung leisten müssten. Der Schul- bzw. Kita-Alltag ist seit fast einem Jahr massiv eingeschränkt und durch die Kontaktbeschränkungen sowie die Schließung der Freizeitangebote und Sportvereine haben Kinder und Jugendliche auch in ihrer Freizeit kaum noch Entfaltungsmöglichkeiten.
Die derzeitige Situation bedeutet auch für Eltern eine Doppelbelastung, auch diejenigen, deren Kinder in die Notbetreuung gehen. Denn Beschulung oder auch nur Hilfestellung beim Schulstoff wird dort in der Regel nicht angeboten. Dies bedeutet: auch die Pflegerinnen und Ärztinnen, die im Schicht-dienst das Gesundheitssystem am Laufen halten, müssen sich nach Dienstschluss darum kümmern, dass ihre Kinder nicht den Anschluss an den Lernstoff verlieren. Kurzum: Eltern, Kinder und Jugendliche leisten ihren Beitrag bereits seit Monaten und zwar über alle Maßen.
Nach über neun Monaten Pandemie sind wir trotz wesentlich besserer Erkenntnisse über die Krankheitsverläufe, trotz Impfstoff und Schnelltests wieder da, wo Familien und Kinder im März letzten Jahres standen – im Stich gelassen von der Politik.
Maßnahmen sollten dort greifen, wo sich infektionstreibende Gruppen tatsächlich aufhalten oder verkehren, sowie eine dringliche Verbesserung der Schutzstrategie für die vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Schutzmaßnahmen an Arbeitsplätzen müssen rechtlich verbindlich eingeführt und überprüft werden. Dringend müssen Risikoorte wie Seniorenheime durch den Einsatz von Antigen-Schnelltests geschützt werden. Gesundheitsschutz und soziale Teilhabe sind vereinbar. Die politisch gesetzten und zweifellos richtigen Ziele einer Absenkung der Infektionskurve, der Schonung der Ka-pazitäten des Gesundheitssystems und einer Senkung der aktuell hohen Sterbefallzahl zu erreichen liegen hier, nicht in Schulen und Kindertagesstätten.
Wir fordert daher von der Politik, dass sie nicht nur von Familien und Kinder verlangt, sich solidarisch zu verhalten, sondern es muss umgekehrt sein: Politik und Gesellschaft müssen sich endlich solidarisch mit den Schwächsten der Gesellschaft zeigen und sich für Kinder und Familien sowie für diejenigen stark machen, die durch SARS-CoV 2 besonders gefährdet sind. Aus unserer Sicht als Familieninitiative gehen diese beiden Forderungen Hand in Hand. Denn die Familie als kleinste soziale Einheit verbindet die jüngste und die älteste Generation.