Offener Brief pro Öffnung der Schulen und Kitas und gegen die belastenden Maßnahmen gegenüber Kindern in Betreuungseinrichtungen

Düsseldorf und Bielefeld, 12. April 2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet,
Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Stamp,
Sehr geehrter Herr Minister Laumann,

die aktuellen politischen Entscheidungen in NRW zeigen uns als Eltern einmal mehr, dass Bildung und Kinder in der aktuellen Politik und der Gesellschaft keine Priorität haben und dass Kinderrechte mit Füßen getreten werden.

Die Schulen sind – entgegen vielfacher Beteuerungen der Politik – wieder für fast alle Kinder geschlossen; die Betreuung in Kitas ist bei vollen Beiträgen seit Januar 2021 eingeschränkt. Der Besuch der Schule, wenn er denn stattfindet, wird zudem von erheblichen Voraussetzungen abhängig gemacht.

Schule im Wechselmodell findet nur statt, wenn

  • Die Kinder in der Schule negativ getestet wurden,
  • sie ganztägig einen MNS tragen,
  • 1,5 m voneinander entfernt sitzen,
  • sich regelmäßig die Hände desinfizieren und
  • alle 20 Minuten gelüftet wird!

All diese Maßnahmen dienen dem Ziel der höchstmöglichen Sicherheit vor einer Corona-Infektion. Möglicherweise muss man aber akzeptieren, dass es ein allgemeines Lebensrisiko gibt zu erkranken und der Gesundheitsschutz vor einer Infektion nicht die anderen Grundrechte überwiegt, sondern es einer maßvollen Abwägung bedarf, die – so der VerfGH NRW – „von der größtmöglichen Schonung der Grundrechte auszugehen hat“ (VerfGH 19/21. VB-1). Zudem haben laut Minister Dr. Stamp alle Lehrer:innen und Erzieher:innen ein Impfangebot erhalten, sodass diese nun ausreichend geschützt sein dürften.

Wir sind sehr frustriert und enttäuscht darüber! Wir machen da nicht mit, wir sagen nein!

Obwohl die direkten Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung für Neugeborene, Säuglinge, Kinder und Jugendliche nach übereinstimmenden Studienergebnissen aus allen Erdteilen gering sind,[1] leiden sie am stärksten unter den von politischer Seite ergriffenen Maßnahmen der COVID-19-Pandemie. Ihnen droht weltweit eine massive Verschlechterung ihrer Lebenssituation.

Kinder und Jugendliche, die sich noch in der Entwicklung befinden, haben unter den aktuell herrschenden Bedingungen im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen ein höheres Risiko, ihr Entwicklungspotenzial nicht ausschöpfen zu können, denn die kindlichen Entwicklungsphasen sind nun einmal nicht beliebig verschiebbar. Dennoch erlauben wir Erwachsenen weit mehr Freiheiten als Kindern. Das ist nicht nur ungerecht, sondern birgt große langfristige Risiken.

Während die Schulen für die Mittelstufe in diesem Jahr erst für max. 5 Tage geöffnet waren und weit überwiegend Distanzunterricht stattfand, gab es nie eine Pflicht zum Home-Office bei Erwachsenen. Eine der Testpflicht an den Schulen korrespondierende umfassende Testpflicht oder gar Maskenpflicht am Platz bei Einhaltung eines Abstands von 1,5m gibt es in der Arbeitswelt nicht. Warum sind in den meisten Bundesländern regelmäßige Selbsttests für Schüler:innen in der Schule verpflichtend, aber nicht am Arbeitsplatz? Es kann nicht sein, dass für Kinder strengere Regeln gelten als für Erwachsene.

Die Diskussion um Tests für Schüler:innen wirft für uns viele Fragen auf:

Warum sollen verpflichtende Tests in Gruppen in den Schulen für die Schüler unter offensichtlicher Missachtung elementarster Standards des Datenschutzes und des Risikos von Stigmatisierung und Mobbing eingeführt werden, in anderen Lebensbereichen (Pflege und Medizin ausgenommen) nicht? Warum geht das nicht auch zu Hause in einem angstfreien Umfeld?

Der bloße Akt der Probenentnahme wird größere Kinder überwiegend nicht vor nennenswerte technische Schwierigkeiten stellen. Gleichwohl gibt es auch hier immer noch ein, wenn auch überschaubares Verletzungsrisiko, denn nicht nur die Anwendung birgt Verletzungsgefahren, sondern auch die chemischen Inhaltsstoffe, weswegen laut Herstellerangabe die Anwendung erst für Personen ab 18 Jahren geeignet ist. Die Lehrer:innen dürfen/wollen häufig mit verschiedenen Begründungen, die ihrerseits in unterschiedlichem Maße nachvollziehbar sind, dabei nicht helfen. Was also, wenn ein Kind es nicht schafft, eine Probe zu nehmen? Was ist mit körperlich oder sonst beeinträchtigten Kindern? Was, wenn der Schnelltest, dessen Zuverlässigkeit nach wie vor gering ist, falsch positiv ist? Überhaupt, was ist, wenn der Test positiv ist? Leider ist es unwahrscheinlich, dass Lehrer:innen und Mitschüler:innen stets empathisch damit umgehen werden. Wir befürchten eine erhebliche Stigmatisierung und Traumatisierung positiv getesteter Kinder, (Selbst-)Vorwürfe und Ängste. Was passiert denn mit diesen Kindern? Sie werden, nachdem sie schon den Test vor versammelter Mannschaft vorgenommen haben, vor eben dieser versammelten Mannschaft abgesondert, bis sie von den Eltern abgeholt werden. Die sind aber auch nicht unbedingt in 10 Minuten in der Schule.

Wir halten das für unverantwortlich! Wir sagen nein, wir machen da nicht mit!

Wo bleiben bei dieser Vorgehensweise das Recht der Kinder auf informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz gemäß DSGVO? Wir reden hier von sensiblen Gesundheitsdaten unserer Kinder. Es gibt unseres Wissens nach, keinen Bereich in der Erwachsenenwelt, wo auf diese Art und Weise medizinische Daten unmittelbar einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden. Das ist datenschutzrechtlich zweifelsohne schlichtweg rechtswidrig. Nur zum Vergleich: Läusebefall in der Schulklasse wird unter Berufung auf den Datenschutz als „Top Secret“ klassifiziert, bei Corona soll das nicht gelten? Und auch die Corona-Warn-App darf nicht vor einer akuten Infektionsgefahr durch einen positiv getesteten in der unmittelbaren Umgebung warnen.

Wie soll es gelingen, dass die Durchführung der Test keine Stundenreduktion des ohnehin schon geringen Präsenzunterrichts bedeutet? Warum können die Tests nicht zuhause durchgeführt werden, wie in anderen Bundesländern, z.B. in Niedersachsen, um Schüler:innen mit positivem Testergebnis gleich zuhause behalten zu können und so auf dem Schulweg und in der Schule potentiell weitere Ansteckungen zu verhindern?

Wir sind gegen eine Testpflicht für Kinder und gegen eine Durchführung von Tests in der Schule, insbesondere für Grundschulkinder, und stützen uns hierbei auf die folgenden Kernaussagen mehrerer medizinischer Verbände[1] :

  • „Ausgehend von allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen der Screening- und Infektionsdiagnostik erscheint es angesichts fehlender Daten zur Validität von Antigenschnelltests gerade bei asymptomatischen Kindern zum jetzigen Zeitpunkt weder gerechtfertigt noch angemessen, diese Tests flächendeckend in Schulen und KiTas einzusetzen. Es ist zu erwarten, dass die Zahl falsch negativer und falsch positiver Ergebnisse inakzeptabel hoch sein und weit mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen wird. Hinzu kommt das Potenzial großer präanalytischer Fehler in der Probenentnahme.“
  • Unterschätzt werden die negativen psychologischen Auswirkungen repetitiver Testungen, insbesondere junger Kinder, die entsprechende Konsequenzen wie Quarantäne der eigenen Person oder der Sozialgemeinschaft nach sich ziehen, nicht zuletzt wenn sie möglicherweise aufgrund der invaliden Testmethode wieder aufgehoben werden müssen. Weiterhin besteht die erhebliche Gefahr, dass Testergebnisse negativen Einfluss nehmen werden auf die konsequente Umsetzung der bewährten Hygieneregeln. Dies hat angesichts einer erwartungsgemäß hohen Rate falsch negativer Testergebnisse besonders gravierende Auswirkungen.

Zumindest aber fordern wir, dass die Tests zuhause durchgeführt werden können.

Wir fordern zudem, zunächst alle Möglichkeiten bei Erwachsenen auszuschöpfen und den Kindern mehr Freiheiten zu gewähren, die sie dringend brauchen um sich gesund zu entwickeln. Nehmen Sie die Berufstätigen und Arbeitgeber endlich in die Pflicht!

Öffnen Sie Kitas und Schulen sofort, denn alle Kinder sind systemrelevant!

Wir fordern Sie auf die Rechte und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in den Fokus Ihrer Politik und Entscheidungen zu stellen. Setzen Sie sich für pragmatische und praktikable Lösungen ein, die die Kinder und Jugendlichen nicht noch weiter zu den Verlierern der Pandemie machen!

gez. Dr. jur. Nicole Reese, Professorin, Bielefeld
gez. Stefanie Seifert, Berufsberaterin, Düsseldorf
gez. Dr. Tobias Hecker, Professor, Bielefeld
gez. Dr. Katharin Hermenau, Psychologin,  Bielefeld
gez. Svenja Streich, Mitglied der Geschäftsleitung, Gladbeck
gez. Nele Flüchter, Pädagogin, Düsseldorf
gez. Dr. Franziska Reiß, Juristin, Düsseldorf
gez. Sabine von Thenen, Sozialwissenschaftlerin, Bonn
gez. Nina Meseke, Psychotherapeutin, Steinhagen

Fußnoten

[1] Zimmermann P, Curtis N: COVID-19 in Children, Pregnancy and Neonates: A Review of Epidemiologic and Clinical Features. Pediatr Infect Dis J 2020; 39: 469–77; Ludvigsson JF: Systematic review of COVID-19 in children shows milder cases and a better prognosis than adults. Acta Paediatr 2020; 109: 1088–95 CrossRef MEDLINE PubMed Central

[2] Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland (bvkj e.V.), der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) vom 28.02.2021 – Teststrategien zur COVID Diagnostik in Schulen abrufbar unter https://dgpi.de/teststrategien-zur-covid-diagnostik-in-schulen-stand-28-02-2021/


Offener Brief vom 12.04.2021

Der Brief konnte bis zum 25.04.2021 um 10.35 Uhr unterzeichnet werden, nun wird er nebst Brief an die Politiker:innen versendet!

Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen
6162 Unterzeichner:innen!