Selbsttests an Schulen

27.03.2021

Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

sehr geehrter Herr Minister Laumann,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Richter,

als Initiative, die sich dem Wohl von Kindern und Jugendlichen verpflichtet fühlt, erreichen uns gegenwärtig zahlreiche Rückmeldungen zur Praktikabilität der Durchführung und Erfahrungsberichte über die Anwendung von SarsCov2-Selbtstests an weiterführenden Schulen. Die Schilderungen der Familien besorgen uns sehr. Deshalb möchten wir Ihnen die Ansichten und Einsichten unserer Initiative zu den in Grundschulen geplanten und an weiterführenden Schulen teilweise bereits durchgeführten SarsCov2-Selbsttests mitteilen – verbunden mit dem dringenden Appell: Bitte überdenken Sie das geplante Vorgehen und wagen Sie eine neue Entscheidung für die Zeit nach den Osterferien!

 

Wir sehen im Hinblick auf das Procedere der Durchführung der Selbsttests, wie Sie, Herr Staatssekretär Richter, es in der Schulmail vom 15.03.21 angekündigt haben, große Probleme und haben schwerwiegende Bedenken:

1. Datenschutz verletzt: In der Schulmail bzw. den Anlagen wird dargestellt, dass die Testung mit dem Kind durchgeführt wird, sofern keine Widerspruchserklärung der Eltern minderjähriger Kinder bzw. der volljährigen Schüler:innen vorliegt. Eine „Widerrufslösung“ ist aber im Datenschutz grundsätzlich nicht vorgesehen, vielmehr bedarf es z.B. selbst bei der Anfertigung von Bildaufnahmen von Schulaufführungen regelmäßig einer schriftlichen Einwilligungserklärung gegenüber der Schulleitung . Bitte überprüfen Sie die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Anforderungen!

2. Verletzungsgefahr und Anwendungsfehler: Der Hersteller selbst schreibt in seiner Gebrauchsanweisung für Patienten zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen: „Bei einer Anwendung an Jugendlichen/ Kindern unter 18 Jahren sollte eine Anwendung nur unter Aufsicht eines Erwachsenen erfolgen oder der Test sollte durch einen Erwachsenen durchgeführt werden.“ Unsere Erfahrungen zeigen, dass Kinder dringend eine aktive Anleitung bei der Testdurchführung benötigen, die eine Lehrkraft parallel für etwa 15 Kinder, die noch dazu in lebhafter Interaktion sind, nicht sicherstellen kann. Insbesondere bei jüngeren Schüler:innen im Grundschulalter ist anzunehmen, dass diese nicht immer ernsthaft bei der Sache sind, so dass sie sich womöglich Verletzungen im Nasenbereich zuziehen könnten. Die verwendete Lösung kann darüber hinaus zu Hautreizungen führen.
Der Hersteller selbst formuliert in einem Warnhinweis: „Wenn das Röhrchen während der Entnahme des Tupfers nicht zusammengedrückt wird, kann ein Überschuss von Puffer am Tupfer zu falschen Ergebnissen führen“. Es ist davon auszugehen, dass vor allem jüngere Schüler:innen mit der sachgerechten Testdurchführung überfordert sind. Anwendungs- fehler sind damit vorprogrammiert, zumal die Lehrkräfte keine Hilfestellung geben dürfen. Anwendungsfehler erhöhen das Risiko falscher Testergebnisse.

3. Recht auf informelle Selbstbestimmung verletzt: Eine Durchführung der Selbsttests im Klassenraum führt dazu, dass im Klassenverband für jeden Schüler und jede Schülerin und auch für die Lehrkraft oder anwesende weitere Personen ersichtlich ist a) wer nimmt am Test teil und wer nicht und b) wer hat ein positives bzw. negatives Testergebnis.

4. Gruppenzwang, Diskriminierung und Mobbing: Bereits jetzt – die Testung an weiter- führenden Schulen ist gerade erst angelaufen – erreichen uns zahlreiche Rückmeldungen von Eltern und Schüler:innen, die von massiven negativen sozialen Folgen für die Kinder und Jugendlichen sowie die Klassen- und Stufengemeinschaft berichten. Kinder und Jugendliche erzählen, sich von Mitschüler:innen unter Druck gesetzt zu fühlen. Dabei werden uns nachdrückliche Überzeugungs- und Überredungsversuche sowohl pro als auch contra Testungen berichtet. Schüler:innen geben außerdem an, auch von Lehrer:innen und Schulleitungen unter moralischen Druck gesetzt worden zu sein. Es besteht die reale Gefahr der sozialen Ausgrenzung für die am Test nicht teilnehmenden Schüler:innen.

5. Weitere psychische Folgen: DGPI, BVKJ, DGKJ und DGKH weisen in ihrer Stellungnahme zu Antigenschnelltests in Schulen explizit darauf hin, dass „die negativen psychologischen Auswirkungen repetitiver Testungen, insbesondere junger Kinder, die entsprechende Konsequenzen wie Quarantäne der eigenen Person oder der Sozialgemeinschaft nach sich ziehen (unterschätzt werden)“.1

6. wertvolle Unterrichtszeit vergeudet: Berichte vom praktischen Ablauf an den Schulen in den ersten beiden Wochen nach Ankündigung zeigen, dass hier die aufgrund des Wechselmodells ohnehin schon rare Unterrichtszeit in Präsenz noch „vergeudet“ wird. Aus Erfahrungsberichten wissen wir, dass bei Erstanwendung etwa eine Doppelstunde für die Testung der halben Klassenstärke benötigt wurde. Es ist davon auszugehen, dass die Zeitdauer mit wachsender Routine sinkt, dennoch ist realistischerweise davon auszugehen, dass eine Schulstunde zur sachgerechten Durchführung, Auswertung und Dokumentation benötigt wird. Bei zweimal wöchentlicher Testung wird die im Wechselmodell ohnehin knappe Unterrichtszeit in Präsenz so weiter beschnitten. Mehrere Lehrer:innen haben im Gespräch mit uns darauf hingewiesen, dass die Selbsttestung in Schulen mit einem enormen logistischen Aufwand für die Lehrkräfte verbunden ist. Dies betrifft insbesondere die Verpackung der Testkits für die Zuteilung an die einzelnen Schülergruppen. Dieser zeitliche Mehraufwand der Lehrer:innen geht zu Lasten der Betreuung der Schüler:innen im Lernen auf Distanz. Zweimal wöchentliche Selbsttestungen in den Schulen unter Anleitung der Lehrkräfte beeinträchtigen also Unterrichtsquantität und -qualität in erheblichem Maße. Das können wir nicht hinnehmen. Kinder und Jugendliche haben über Monate keinen Zugang zu Präsenzunterricht gehabt und erleben ihre Schulen aufgrund umfassender Infektionsschutzmaßnahmen auch jetzt als Lernort, der mit massiven persönlichen Ein- und Beschränkungen verbunden ist. Eine Testung darf daher keinesfalls in den Schutzraum Schule und die wertvolle Unterrichtszeit verlegt werden.

Wir wünschen uns, dass Sie wieder mehr Vertrauen zu Eltern und Schüler:innen fassen und uns Familien zutrauen, dass wir den Test in der häuslichen Umgebung ordnungsgemäß durchführen können. Außerdem bitten wir Sie eine Einwilligungserklärung anzufordern vor Testerlaubnis. In einem guten Beispiel aus Sachsen-Anhalt (ein Schulleiterbrief, siehe Anlage) sehen Sie, wie es gehen kann – ein Positivbeispiel!

Erlauben Sie uns abschließend noch paar Hinweise, einige davon werden auch in der bereits oben angeführten gemeinsamen Stellungnahme von DGPI, BVKJ, DGKJ und DGKH näher ausgeführt:

Selbsttests sind zu wenig spezifisch, um ein sinnvolles Screening zu erlauben.2  Die Rate der falsch- positiven und falsch-negativen Ergebnisse ist vergleichsweise hoch, die Aufregung bei allen Beteiligten jeweils groß.
Die Kosten für die Testung sind enorm, zumal das Erfordernis besteht, die positiven „Schnelltest- Angebote“ durch einen PCR-Test überprüfen zu lassen.

Der Test ist laut Hersteller an Volljährigen und symptomatischen Personen vorgesehen.

Wie das Beispiel Bremen zeigt, decken die Tests bisher nur eine sehr kleine Anzahl an „unentdeckten“ Corona-Ansteckungen auf.3 Unsere Erfahrungen aus den ersten Testtagen decken sich mit diesem Befund, wenngleich sie selbstverständlich nicht repräsentativ sind. Zudem haben Wissenschaftler der LMU erneut bestätigt, dass Kinder nicht „Treiber der Pandemie“, so wie Sie, Frau Ministerin Gebauer, es im Oktober 2020 in Ihrer Pressekonferenz gesagt haben.4

Es stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit.

Der produzierte Müll – als Sondermüll zu entsorgen – soll auch nicht unerwähnt bleiben.
Wir begrüßen eine sichere Öffnung der Schulen und wünschen uns eine Rückkehr zum Präsenzunterricht. Freiwillige Testmöglichkeiten sind zu begrüßen, anlasslose Selbsttests unter fehlender fachkundiger Anleitung aber gehören nicht in einen Klassenraum und sind daher in dieser Form konsequent abzulehnen.

Bitte senden Sie uns bis zum 11.04.2021 eine Stellungnahme zu.

Mit freundlichen Grüßen

Stefanie Seifert, Düsseldorf
Kathrin Dewender, Dortmund
Sina Mind, Gladbeck
Nele Flüchter, Düsseldorf

1 Vgl. hierzu : https://www.bvkj.de/politik-und-presse/nachrichten/130-2021-02-28-teststrategien-zur- covid-diagnostik-in-schulen

2 https://www.bvkj.de/politik-und-presse/nachrichten/130-2021-02-28-teststrategien-zur-covid- diagnostik-in-schulen

3 https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/zwanzigtausend-schnelltests-schulen-bremen- 100.html?fbclid=IwAR15YTb6ej82GcHqMp-JY89s5Fq3wkp3F9m4duYKVP8h2Pbg_NrYsr4e8AA
4 https://www.nordbayern.de/politik/lmu-statistiker-infektionen-gehen-nicht-von-kindern-aus- 1.10939987?fbclid=IwAR1qMfsVrr0BcLpErz67r2vgugP-5oZD58iDjf1HaE8Q_hVajIy4uzrGsuA