Vorgezogene Weihnachtsferien 2020

16.11.2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

in dieser, vor allem für Familien sehr schwierigen Zeit der andauernden Pandemie, haben wir die inzwischen regelmäßig wiederholte Garantie zur Aufrechterhaltung des Regelbetriebs für Schulen und Kitas durch Minister Stamp mit großer Erleichterung wahrgenommen. Dies zeigt uns, dass die Probleme im Zusammenhang mit den Schul- und Kitaschließungen aus dem Frühjahr von der Politik ernst genommen werden und die Studienlage zu der geringen Infektiosität von Kindern berücksichtigt wird.

Mit umso größerer Bestürzung haben wir am 12.11.2020 zur Kenntnis genommen, dass die Weihnachtsferien an den Schulen in NRW durch Ministerin Gebauer um zwei Tage verlängert werden sollen. Der letzte Schultag ist somit bereits der 18.12.2020. Hierbei handelt es sich tatsächlich um nichts anderes als eine flächendeckende Schulschließung. Begründet wurde dies damit, dass Familien sich so in eine Art freiwillige Quarantäne vor den Weihnachtstagen begeben könnten, und diese somit sorgenfreier und unbeschwert gerade mit den älteren Familienmitgliedern verbringen könnten. Gerade für berufstätige Eltern entsteht durch diese Verlängerung der Weihnachtsferien jedoch ein ernstes Betreuungsproblem.

Wie hinlänglich bekannt sein dürfte, sind die Urlaubsansprüche der berufstätigen Eltern längst aufgebraucht1. Die Kulanz der Arbeitgeber ist vielerorts bereits aufs Äußerste ausgereizt. Zudem lässt sich längst nicht jeder Beruf im Home-Office ausüben. Hierzu zählen beispielsweise neben Tätigkeiten im Einzelhandel, im medizinischen Bereich, bei Banken, Friseuren und in der frühkindlichen Förderung auch nicht-systemrelevante Berufe, wie Sozialpädagogen, Produktionsmitarbeiter, Handwerker, Immobilienmakler und viele mehr.

In vielen dieser Bereiche sind gerade die Urlaubstage um die Weihnachtszeit herum sehr begehrt und daher bereits lange im Voraus vergeben. Da viele dieser Bereiche zudem gerade vor der Weihnachtszeit ein erhöhtes Kundenaufkommen zu verzeichnen haben, können Arbeitgeber auch nicht auf die fest hierfür eingeplanten Mitarbeiter verzichten.

Viele Eltern in systemrelevanten Berufen werden ihre Kinder also an diesen beiden zusätzlichen Ferientagen in die Notbetreuung schicken müssen. Da die Notbetreuung in der Regel für jede Schule in einer gemeinsamen Gruppe erfolgt, kommt es hierdurch kurz vor den Feiertagen noch zu einer Durchmischung von Schülern aus verschiedenen Klassenverbänden, was dem Grundsatz der Kohortenbildung widerspricht und das Infektionsrisiko erhöht, anstatt es stabil zu halten.Viele Eltern, die nicht systemrelevant berufstätig sind, werden sich um anderweitige Betreuung ihrer Kinder bemühen müssen. Sei es aus finanzieller Not, weil sie sich keine (weiteren) unbezahlten Urlaubstage mehr leisten können, oder weil ihr Arbeitgeber in der Vorweihnachtszeit schlichtweg nicht auf sie verzichten kann.
o Im besten Fall werden die Kinder in den Haushalten von Nachbarn oder Freunden untergebracht, was ebenfalls wieder zu einer zusätzlichen Durchmischung von weiteren Kontakten führt und das Infektionsrisiko erhöht, anstatt es stabil zu halten.
o In der Realität werden jedoch im überwiegenden Teil der Fälle die Großeltern die kurzfristige Betreuung ihrer Enkelkinder übernehmen, was die Idee einer „freiwilligen Vorquarantäne“ zugunsten eben dieser ad absurdum führt.

Keines dieser Szenarien führt zu einer Verminderung des Infektionsrisikos, ganz im Gegenteil wird dieses durch das zwangsläufige Aufspannen neuer Kontaktnetze sogar noch erhöht.

Ergänzt sei an dieser Stelle noch, dass Eltern im Falle von unbezahltem Urlaub noch nicht einmal Anspruch auf die teilweise Entschädigung nach §56 Abs. 1a IfSG haben, da es sich nach offizieller Lesart nicht um eine Schließung der Schulen, sondern um eine Verlängerung der Ferien handelt.
Die Maßnahme der Verlängerung der Weihnachtsferien ist offensichtlich nicht geeignet, um die Neu-Infektionsrate zu senken. Die hieraus resultierenden Probleme auf diversen Ebenen werden keinesfalls dazu führen, das Weihnachtsfest für Familien „sorglos“ oder gar „unbeschwert“ zu gestalten. Ganz im Gegenteil sind berufstätige Eltern wieder einmal in der Zwickmühle, sich zwischen finanziellen Einbußen bis hin zur Gefahr des Jobverlustes oder der Gefährdung der Risikogruppe, die vorgeblich genau durch diese Maßnahmen geschützt werden soll, zu entscheiden. Dies trifft insbesondere alleinerziehende Eltern besonders hart. Ob der Staat sich hierbei in der Pflicht sieht, etwa durch eine Notbetreuung Hilfestellung bei der Betreuung der Kinder zu leisten, hängt wieder einmal davon ab, ob die Eltern dieser Kinder sich den „richtigen“ Beruf ausgesucht haben, oder nicht.

Zudem bleibt in der überwiegenden Zahl der Fälle die Berufstätigkeit der Eltern an diesen beiden Tagen bestehen, so dass sich das Infektionsrisiko der Eltern nicht verändert. Und diese Erwachsenen, nicht die Kinder, sind nachweislich Treiber der Pandemie.

Zu guter Letzt stellt die Verlängerung der Weihnachtsferien auch für die betroffenen Schüler selbst keinen Gewinn, sondern eine erneute Benachteiligung und Beschränkung ihres Rechts auf Bildung dar. Nachdem in diesem Jahr die Schulen über mehrere Wochen hinweg ganz geschlossen waren, sind auch seit der Rückkehr in den Regelbetrieb bereits vielerorts Einschränkungen beim Präsenzunterricht erfolgt und für viele Schüler*innen in der Regel wegen einzelner Positivfälle in Klasse oder Kurs Quarantäneanordnungen verhängt worden. Durch die Verlängerung der Weihnachtsferien entfällt nun an weiteren zwei Tagen der gesamte Unterricht in NRW, wodurch zudem mitunter bereits geplante Klausuren verschoben werden müssen. Eine solche erneute Missachtung des Rechts auf Bildung empfinden wir als inakzeptabel. Zudem hat Ministerin Gebauer sich bisher nicht geäußert, wie bzw. wann diese zwei fehlenden Unterrichtstage kompensiert werden sollen.

Da die Verlängerung der Ferien aus den genannten Gründen nicht dem Zweck der Eindämmung des Corona-Virus gelten kann, lehnen wir, als Initiative „Familien in der Krise“, diese Maßnahme entschieden ab und möchten die Politik auffordern, ihre Entscheidung zu revidieren.

 

Mit freundlichen Grüßen

Judith Bachmann
Antonia Eiden
Nele Flüchter
Dr. Franziska Reiß
Stefanie Seifert
Svenja Streich
Sabine von Thenen

für Familien in der Krise NRW