Adieu Betreuungsgarantie!

17.02.2021

Fassungslos und mit zunehmender Enttäuschung haben wir die gestrige Pressekonferenz verfolgt und die Planung für die Kindertagesbetreuung in NRW zur Kenntnis genommen.
Zweifelsohne begrüßen wir die nun geschaffene Möglichkeit für Betreuungspersonal, zweimal pro Woche einen Test auf Covid-19 durchführen zu lassen, sehr. „Hierdurch wird eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen, den Kindern schnellstmöglich wieder den vollumfänglichen Zugang zu frühkindlicher Bildung ermöglichen zu können.“ hebt Nadine Gährken von Laut für Familien hervor. Auch der Wegfall des Appells, die Betreuung, wenn irgendwie möglich nicht in Anspruch zu nehmen, ist ein richtiger und wichtiger Schritt, durch den auch der moralische Druck von den Eltern genommen wird. „Wir freuen uns sehr, dass ab der kommenden Woche wieder alle Kinder ausdrücklich eingeladen sind, die Kindertagesbetreuung in Anspruch zu nehmen.“ ergänzt Nina Meseke, Gründungsmitglied des Bündnisses Laut für Familien.


Die weiteren Regelungen, insbesondere die „Corona-Notbremse“, übertreffen jedoch unsere schlimmsten Befürchtungen. „Nicht nur, dass weder definiert ist, bei welchem Infektionsgeschehen diese Notbremse genau beginnt und bei welchem sie wieder endet, auch der „lokal“ empfohlene Einsatz lässt leider sehr viel Interpretationsspielraum zu. Darüber hinaus wird wieder die Systemrelevanz – diesmal sogar beider Elternteile – zum Einsatz gebracht. In der Realität kann dies im Grunde jederzeit wieder dazu führen, dass Eltern – übrigens auch Alleinerziehende – sich erneut auf unbestimmte Zeit zwischen Home-Office und gleichzeitiger Kinderbetreuung zerreiben müssen.“ bemängelt Judith Bachmann, Gründungsmitglied von Laut für Familien. „Es bleibt völlig unklar, wie genau ein sprunghafter Anstieg des Infektionsgeschehen definiert ist. Wird die Betreuung zukünftig geschlossen, wenn die Inzidenz von 15 auf 45 steigt, von 30 auf 60 oder reicht vielleicht sogar schon ein Anstieg von einer Inzidenz von 5 auf 15 aus, um die „Corona-Notbremse“ zu aktivieren?“ Die vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Herrn Dr. Stamp ausgesprochene und von vielen Initiativen hochgelobte Betreuungsgarantie gehört damit de facto der Vergangenheit an.

Dass es darüber hinaus kein klar definiertes Ende der um 10 Wochenstunden reduzierten Betreuung im eingeschränkten Regelbetrieb gibt, sondern dass es ab dem 08.03.2021 mit viel Glück vom Wohnort und Träger der jeweiligen Kindertageseinrichtung abhängt, lässt uns entmutigt zurück. Rücksichtslos mutet hierbei auch die Tatsache an, dass Eltern dennoch weiterhin den Beitrag für den vollen vertraglich vereinbarten Betreuungsumfang entrichten müssen, ungeachtet der Tatsache, ob und inwieweit sich diese Reduktion des Betreuungsumfangs auf ihre Berufstätigkeit auswirkt.


Beinahe scheint es inzwischen müßig, weiterhin auf die Probleme von Familien und Kindern in der Krise hinzuweisen. Bildung ist schon lange zum Privatproblem und somit zum Glücksspiel, basierend auf Herkunft und Ressourcen des Elternhauses, geworden. Und auch in den sogenannten privilegierten Familien sind diese Ressourcen nach einem Jahr Pandemie endlich. „Für berufstätige Eltern kommen die aktuellen Regelungen im Grunde einem Arbeitsverbot gleich. Dass beide Eltern berufstätig sind, oder Alleinerziehende ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, wird in Zukunft kaum mehr möglich sein. Wir fordern die Politik daher auf, Farbe zu bekennen. Sollten die aktuellen Regelungen nicht kurzfristig dahingehend geändert werden, dass eine verlässliche Betreuung im tatsächlich zwingend erforderlichen Umfang möglich ist, muss neben arbeitsrechtlichen Veränderungen vor allem auch eine entsprechende Reformation des Scheidungs- und Unterhaltsrechts erfolgen.“ stellt Nele Flüchter, Gründungsmitglied von Laut für Familien klar. „Die aktuelle Regelung im Trennungsfall, dass der alleinerziehende Elternteil ab dem dritten Lebensjahr des gemeinsamen Kindes den eigenen Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften hat, ist in der Realität auf unbestimmte Zeit nicht mehr umsetzbar.“
Die Elternschaft wird somit zum unkalkulierbaren Armutsrisiko. Dies wird bereits kurzfristig dazu führen, dass gerade Frauen in der Praxis nicht mehr die Möglichkeit haben, ihr Leben (auch finanziell) unabhängig und selbstbestimmt zu gestalten und sich notgedrungen gezwungen sehen, auch in ungünstigen Beziehungskonstellationen zu verharren, so sie nicht zum Sozialfall werden möchten. Auch die Altersarmut, von der bereits jetzt verstärkt Frauen – insbesondere Mütter – bedroht sind, wird sich für diese weiterhin verschärfen.


Diese Perspektiven sind sowohl gesellschaftlich als auch volkswirtschaftlich inakzeptabel. Die Politik muss daher ihren Kurs schleunigst neu justieren und entsprechende Maßnahmen schaffen, um diesen Entwicklungen nachhaltig entgegenzuwirken.


Wir möchten insbesondere Herrn Minister Dr. Stamp, der sich gerade in den letzten Monaten durch seine vorbildliche Zugewandtheit gegenüber Familien und Kindern in der Pandemie hervorgetan hat, eindringlich bitten und ermutigen, zu seinem bisherigen Kurs zurückzukehren.


#Laut für Familien