An die Vertreter der Arbeitgeber- und Wirschaftsverbände

Düsseldorf, 23.11.2020

Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland,

wir wenden uns im Namen unserer Initiative #FamilieninderKrise an Sie und bitten Sie um Unter-stützung und Zusammenarbeit. Wir treten ein für die Rechte von Kindern während und nach der Pandemie. Insbesondere liegt uns Bildung und zeitgemäße Betreuung am Herzen. Einhergehend damit geht es aber auch um die Rechte von Eltern, insbesondere auch von Frauen, am Wirtschafts-leben aktiv teilnehmen zu können.

Sie als Arbeitgeber*in oder Arbeitgebervertreter*in haben nun seit mehr als acht Monaten selbst miterlebt, welche Belastung die Schließung der Kitas und Schulen zu Beginn der Pandemie für die beschäftigten Eltern bedeutet hat und noch bedeutet. Leider stehen die Schulen – unseres Erachtens zu Unrecht – aktuell wieder im Fokus der Politik, obwohl sich zwischenzeitlich heraus-kristallisiert, dass insbesondere Kinder bis ca. 12-14 Jahren keine “Treiber der Pandemie“ sind.1 Letzteres wird durch viele Studien bestätigt, unlängst durch Veröffentlichungen und Studien der Hansestadt Hamburg und des Freistaats Sachsen.2

Gleichwohl wird aktuell im Hinblick auf die Runde der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten am Mittwoch, den 25.11.2020 über die Einführung von Hybridmodellen oder gänzlichen Schul-schließungen mit Distanzunterricht diskutiert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen und nachteiligen Effekte für die Bildungskarrieren werden dabei ebenso außer Acht gelassen wie die dadurch entstehende Unsicherheit bei Kindern und Eltern. Diese belastet insbesondere berufstätige Familien sehr, da sie quasi wöchentlich um die Bildung und Betreuung ihrer Kinder und somit ihrer eigenen Berufstätigkeit fürchten müssten. Je länger diese Diskussion andauert, umso mehr nimmt für Eltern die Belastung zu. Hinzu kommt eine quasi laufend drohende 14-tägige Quarantäne der Kinder oder verlängerten Ferienzeiten. Die Last ist groß, obwohl viele Arbeitgeber*innen nach wie vor sehr kulant agieren und Freistellungen, Homeoffice usw. ermöglichen.

Die Idee einiger Politiker, man könne mal so nebenbei im Homeoffice ein bisschen Kleinkind-betreuung und Homeschooling machen, ist völlig weltfremd und wird weder den Kindern, noch den Eltern und den Arbeitgeber*innen gerecht.3 Insoweit geht auch der neue § 56 Abs. 1 a InfSchG an der Realität vorbei. Außerdem dürfen Kinder und Jugendliche die Kita bzw. die Schule nur besuchen, wenn sie keine oder bestimmte Krankheitssymptome nicht aufweisen (je nach Bundesland), oder diese zumindest 24 Stunden zuhause beobachtet wurden und sich nicht verschlimmert haben. Dies führt immer wieder dazu, dass Arbeitnehmer*innen mit Kindern kurzfristig für einen oder mehrere Tage ausfallen, oder spontan im Homeoffice arbeiten, so gut es neben der Kinderbetreuung möglich ist. Die Idee, dass sich vor allem Kinder bei einem Schnupfen sieben Tage in Selbstquarantäne begeben sollen, ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass man in der Politik offenkundig wenig von dem „Kosmos Familie“ versteht. Urlaubstage berufstätiger Eltern sind weitestgehend ebenso aufgebraucht wie Überstundenguthaben. Die Kind-krank-Tage sind bei diesen Regelungen ein Tropfen auf den heißen Stein und helfen gerade nicht, wenn ein gesundes Kind in Quarantäne ist oder eine laufende Nase hat.

Zudem: Nichts davon hilft den Arbeitgeber*innen, welche kurzfristig den Ausfall der Arbeit-nehmer*innen kompensieren und mitunter lange im Voraus erstellte Urlaubs- und Dienstpläne spontan neu organisieren müssen. Hierdurch werden die Betriebsabläufe immer wieder, teils nachhaltig, gestört. Auch die Qualität der Arbeit muss zwangsläufig leiden, wenn Homeoffice mit paralleler Kleinkindbetreuung und Homeschooling nicht der tageweise Ausnahmefall bleibt, sondern zwangsweise als neue Normalität etabliert werden muss. In einer Zeit, in der Arbeitgeber*innen auf zuverlässige und höchst engagierte Mitarbeiter*innen angewiesen sind, um ihr Unternehmen aus der Corona-Krise zu führen, ist dies wirtschaftlich nicht länger hinzunehmen.

Viele Eltern befürchten durch die o.g. genannten Probleme daher, dass die Arbeitgeber*innen irgendwann – u.a. weil sie durch die Maßnahmen selbst in eine Schieflage geraten sind – nicht mehr so kulant sein werden oder berufstätigen Eltern gar Kündigungen drohen. Wir möchten Sie als Arbeitgeber*innen und Arbeitgebervertreter*innen bitten, sich engagiert und öffentlich für die Belange von Familien und berufstätigen Eltern einzusetzen, wie dies unlängst der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Herr Ingo Kramer, getan hat.

Er bemängelt zu Recht die fehlende Balance im politischen Corona-Kurs. Wir als Eltern sind sehr wohl bereit auf viele Kontakte im privaten Bereich zu verzichten, doch Kindern ist dies u.E. nicht zumutbar.4 Wir fordern ein soziales Miteinander (unter Beachtung der Hygieneregeln) und mehr Verständnis der politischen Entscheidungsträger für die Situation und Sorgen von Familien und Arbeitgeber*innen, die oftmals unmittelbar zusammenhängen. Die Aufrechterhaltung von Kinder-betreuung und Präsenzunterricht unter Einhaltung praxistauglicher Hygienekonzepte (u.a. Lüften, Entzerrung der Beginn-, Pausen- und Endzeiten, Raumressourcen der Kommunen nutzen, ÖPNV ausweiten) und eine durchdachte Teststrategie an Schulen5 sollte das nächste gemeinsame Ziel von erwerbstätigen Eltern und Arbeitgebern sein, denn nur mit allen Beteiligten kann der Wirtschaftskreislauf wieder in Schwung kommen.

Wir sind gut ausgebildete Mütter und Väter und wir arbeiten gerne. Allerdings sind die aktuellen Umstände, unter denen Kita und Schule im Moment stattfindet, getrieben und geprägt von einem emotionsgesteuerten Aktionismus, der dazu führt, dass wir unsere arbeitsvertraglichen Pflichten häufig nur unzureichend wahrnehmen können. Leider finden unsere Anliegen immer noch zu wenig Gehör bei der Bundes- und den Landesregierungen.

Wir bitten Sie daher um Unterstützung dabei, die Sorgen von erwerbstätigen Familienmitgliedern und Arbeitgeber*innen in den politischen Diskurs stärker einzubringen. Bitte nutzen Sie Ihre Lobby, Ihren Einfluss und Ihre Kontakte und weisen Sie darauf hin, dass unter den gegebenen Umständen Kitas und Schulen keine verlässlichen Bildungseinrichtungen mehr darstellen und der Verlust an Bildungszeit zu einem Mehr an Chancenungerechtigkeit, Bildungsdefiziten und somit zwangsweise zu mangelnder Ausbildungsreife führt.6

Arbeitnehmer*innen mit Kindern und Ihre Mitgliedsbetriebe sind auf offene Schulen und verläss-liche Kinderbetreuung angewiesen, um auch weiterhin mit vollem Einsatz ihrem Beruf nachgehen und am Erfolg der Unternehmen mitwirken zu können. Ansonsten würde sich an dieser Stelle durch den Ausschluss Beschäftigter mit Kindern und durch das weiter sinkende Bildungsniveau der Fachkräftemangel verschärfen.7 Dies kann keine Lösung für die Wirtschaft und die Gesellschaft sein.

Gern stehen wir für Gespräche – persönlich oder virtuell – zur Verfügung und freuen uns von Ihnen zu hören.

Mit freundlichen Grüßen

für Familien in der Krise

Kontakt: info@lautfuerfamilien.de

Fußnoten

1 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117484/Kitas-sind-keine-Treiber-der-Coronapandemie; https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/infektiologe-kinder-sind-nicht-die-treiber-der-infektionen

2 https://home.uni-leipzig.de/lifechild/schulerhebung-corona/; https://www.hamburg.de/coronavirus/14644922/2020-11-19-bsb-coronadaten-schulen/

3 https://t3n.de/news/homeoffice-kindern-hoert-geht-1336454/; siehe auch https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ruckschritt-durch-corona-23586.htm

4 https://www.welt.de/vermischtes/article220483900/Kinder-Kinderaerzte-kritisieren-strenge-Kontaktregeln-fuer-Kinder.html

5 https://www.familieninderkrise.com/2020/11/20/keine-bildung-im-blindflug/. Zumindest im Ansatz richtig Hr. Spahn: https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/ticker-corona-virus-nrw-100.html

6 https://www.tagesspiegel.de/wissen/vor-der-entscheidung-ueber-den-hybridunterricht-kinder-brauchen-bildung-und-praesenz/26647768.html

7 https://www.dakj.de/pressemitteilungen/dakj-presseinformation-lasst-die-schulen-offen/; Handelsblatt: „Unter dem virusbedingten Schulausfall leiden die Schüler – und die Wirtschaft“ vom 10.06.2020 im Internet unter https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/folgen-der-pandemie-unter-dem-virusbedingten-schulausfall-leiden-die-schueler-und-die-wirtschaft/25849714.html?ticket=ST-1794172-YpFnkyPCTPMigpnjw6vH-ap6